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Allgemeines aus der Bauwirtschaft
Modulares Bauen im Vormarsch – Herausforderung für Architektur und Baukultur
Datum:
4.3.2025
Thema:
Allgemeines aus der Bauwirtschaft

Angesichts hoher Baukosten, Fachkräftemangel und Wohnungsnot erlebt das modulare und serielle Bauen derzeit einen regelrechten Boom. Politik und Bauwirtschaft propagieren vorgefertigte Module und Typenbauten als Lösung, um schneller und günstiger Wohnraum zu schaffen. Bundesbauministerin Klara Geywitz setzt verstärkt auf „einfachere Genehmigungsprozesse und mehr serielles Bauen“​, um den Rückstand beim Wohnungsbau aufzuholen. Was bedeutet dieser Trend für Architekturbüros? Ist das Bauen von der Stange ein Segen – oder droht eine neue Welle monotoner „Plattenbauten“? Klar ist: Modulares Bauen stellt Planer vor neue fachliche und kreative Herausforderungen, die es ernst zu nehmen gilt.

Warum serielles Bauen?

Die Ziele hinter dem modularen Ansatz sind vor allem Zeit- und Kostenvorteile. Durch industriell vorgefertigte Bauteile oder Raummodule können Gebäude viel schneller errichtet werden. Wetterunabhängige Produktion in der Fabrikhalle und standardisierte Prozesse reduzieren die Bauzeit auf der Baustelle drastisch​. Das verkürzt teure Bauphasen und mindert Risiken wie Wetterverzögerungen oder Baufehler vor Ort. Zudem verspricht man sich eine Kostenersparnis durch Skaleneffekte: Wenn ein Wohnungsgrundriss hundertfach gebaut wird, sinken die Stückkosten je Einheit. Vorbilder gibt es historisch einige – etwa der Wiederaufbau nach 1945 mit industrieller Plattenbauweise, um schnell Wohnungen zu schaffen​. Heute kommen modernere Technologien hinzu: präzise CNC-Fertigung, digital optimierte Prozesse, eventuell sogar Robotik in Fertighallen. Serielles Bauen soll so auch einen Beitrag zum bezahlbaren Wohnraum leisten, wobei der endgültige Beweis hier noch aussteht​. Dennoch: Die Kombination aus Fachkräftemangel am Bau und großer Wohnraumnachfrage macht modulare Systeme attraktiv. In manchen Bereichen sind sie schon Standard – man denke an Schulen und Kitas in Modulbauweise, die viele Kommunen nutzen, oder Containerlösungen, die binnen weniger Monate schlüsselfertig stehen. Auch ökologisch hat Vorfertigung Vorteile: Sie gilt als ressourcenschonender und es fallen weniger Abfälle auf der Baustelle an​. Kurzum, es gibt gute Gründe, warum serielles Bauen Rückenwind hat.

Planungsprozess auf den Kopf gestellt

Für Architekturbüros bedeutet der Einstieg ins modulare Bauen oft ein Umdenken im Planungsablauf. Ein Modulbau-Projekt erfordert viel genauere Vorab-Planung bis ins Detail, bevor überhaupt der erste Spatenstich erfolgt. Die klassische Abfolge (Entwurf – Planung – Bau) verschmilzt stärker: Planung und Herstellung greifen ineinander. Architekten müssen früh mit Herstellern von Modulen oder Elementen kooperieren und deren Systemgrenzen beachten. Der Maßstab der Gestaltung verschiebt sich: Ist die „Einheit“ des Entwurfs ein ganzes Raummodul (z.B. ein 20qm-Zimmerkubus) oder ein Paneel? Je nachdem. Diese grundlegende Entscheidung beeinflusst, wie variabel das Ergebnis am Ende ist​. In der Praxis heißt das: Wenn man beispielsweise Bad-Module standardisiert, kann man Bäder zwar komplett vorfertigen, hat aber wenig Spielraum in ihrer Anordnung oder Größe. Plant man stattdessen nur kleinere Elemente (Wandelemente, Fassadenteile) vor, bleibt mehr Variationsmöglichkeit in der Kombination​. Hier müssen Architekt*innen eng mit Ingenieuren und Herstellern abstimmen, was machbar ist. Der Planungsprozess wird dadurch eher integral: Statik, TGA, Brandschutz – alles muss ins Modulkonzept passen, oft schon vor der Bauantragstellung. Das fordert eine hohe Koordinationsleistung vom Architekturbüro. Auch Ausschreibung und Vergabe laufen anders: Häufig werden Module als Gesamtgewerk vergeben, oder es arbeiten Planungsgemeinschaften aus Architekt und Modulhersteller zusammen. Architekturbüros, die das nicht gewohnt sind, müssen sich organisatorisch darauf einstellen. Gleichzeitig eröffnen sich neue Aufgabenfelder: Vom Produktdesign (Gestaltung der Module selbst) bis zur Optimierung von Baukästen. Einige große Büros entwickeln eigene Modul-Systeme, um nicht alles den Fertigbaufirmen zu überlassen.

Qualität vs. Monotonie – die gestalterische Herausforderung

Kritiker warnen davor, dass serielles Bauen zu monotonen Stadtbildern führen könnte. Tatsächlich besteht die Gefahr, „gleichförmige, identitätslose Baukasten-Städte“ zu produzieren​, wenn überall dieselben Typen aufgestellt werden. Jan Böhmermann scherzte unlängst, unsere Innenstädte sähen schon jetzt alle gleich aus – das könnte sich verschärfen​. Erinnerungen an die seelenlosen Großsiedlungen der 60er/70er-Jahre werden wach. Niemand will den Plattenbau reloaded in Waschbeton-Optik​ – auch nicht in schicker Holzverkleidung. Für Architektinnen bedeutet das einen Spagat: Wie nutzt man die Vorteile der Serie, ohne die Architekturqualität zu opfern? Hier kommt das Stichwort Variation ins Spiel. Serielles Bauen heißt nicht zwangsläufig, dass alles gleich aussieht. Durch intelligente Planung lassen sich unterschiedliche Fassadengestaltungen, Modul-Kombinationen und Grundrissvarianten realisieren, trotz standardisierter Teile​. Es ist eine Frage der gestalterischen Kreativität und der Systemauslegung. Ein erweiterbarer Katalog von Bauteilen kann viele Varianten erlauben​– etwa verschiedene Fassadenpaneele, die frei kombinierbar sind. Wichtig ist auch der Kontextbezug: Kann ein serielles System an örtliche Gegebenheiten angepasst werden (Topografie, Nachbarbebauung, städtebaulicher Rahmen)? Oder stampft man überall dasselbe Schema aus dem Boden? Architekturbüros müssen hier Anwalt der Baukultur bleiben und notfalls Grenzen aufzeigen. Es gilt, Bauherren und Politiker davon zu überzeugen, dass Qualität und Standardisierung sich nicht ausschließen dürfen. Sonst droht tatsächlich ein Zielkonflikt: Schnelligkeit vs. Lebensqualität. Ein großer Teil der Verantwortung liegt darin, Klischees zu vermeiden: z.B. monofunktionale Schlafsiedlungen ohne soziale Mischung, endlose Reihen identischer Häuser ohne Identität​. Gleichzeitig sollte man die Chancen sehen: Innovative serielle Konzepte können auch architektonisch ansprechend sein – etwa modulare Holzbauten mit hoher Wohnqualität, oder modulare Systeme, die historische Bauformen interpretieren. Einige junge Architektinnen haben gezeigt, dass modulare Gebäude sehr unterschiedlich aussehen können, wenn man es geschickt anstellt​. Hier ist Pioniergeist gefragt.

Attraktivität des Berufsbilds

Ein oft übersehener Aspekt: Wie wirkt sich serielles Bauen auf das Selbstverständnis der Architekt*innen aus? Viele haben den Beruf auch deswegen gewählt, um kreativ zu entwerfen, Unikate zu schaffen, ihre „Handschrift“ zu hinterlassen. Droht im extremen Fall eine Rolle als Katalog-Monteur? In einer Kolumne im DAB schrieb eine junge Architektin provokant: Ein Katalog, aus dem man sich nur noch Bauteile zusammenpuzzeln muss, klingt „nicht nach der reizvollsten Aussicht für angehende Architekt:innen“​. Das freie Entwerfen – einer der größten Reize des Berufs – scheint im ersten Moment beschnitten​. Diese Sorge sollte man ernst nehmen: Um den Nachwuchs für sich zu gewinnen, müssen Architekturbüros trotz Standardisierung Gestaltungsspielräume bewahren. Allerdings heißt seriell bauen nicht zwingend, zum Baukasten-Büro degradiert zu werden. Es kommt auf die Haltung an: Man kann serielle Elemente auch als neue Werkzeuge begreifen, um Probleme zu lösen. Zudem verschiebt sich vielleicht das Kreative eher in die Systemplanung – was ebenfalls anspruchsvoll ist. Wichtig bleibt, dass Qualität und soziale Aspekte oberstes Credo sind, egal ob seriell oder konventionell​. Wenn Architekturbüros diese Haltung vermitteln, können auch Modulbauten architektonischen Anspruch haben.

Fazit: Mitgestalten statt nur ausführen

Modulares und serielles Bauen wird künftig einen relevanten Anteil der Bauaufgaben ausmachen ​– das ist Realität. Architekturbüros sollten diese Entwicklung aktiv mitgestalten, statt sie zu ignorieren oder zu verteufeln. Wer früh Know-how aufbaut, kann in diesem Bereich Taktgeber sein und sicherstellen, dass Standardisierung mit guter Gestaltung einhergeht. Das erfordert jedoch eine ehrliche Bestandsaufnahme: Haben wir im Büro die nötigen Kompetenzen für modulare Planung? Müssen wir unser Team (z.B. durch Industrieplaner) ergänzen? Wie können wir Entwurfsteams organisieren, damit Kreativität nicht verloren geht, aber trotzdem effizient seriell geplant wird? Einige Büros nutzen bereits externe Potenzialanalysen, um ihre Aufstellung in diesem Feld zu prüfen – auch hier meist als kostenloses Erstangebot, um den Bedarf zu erkennen. Solch ein Blick von außen kann helfen zu sehen, wo man steht: Sind wir Vorreiter, Mitläufer oder Gefahr, den Anschluss zu verpassen? Schließlich bietet serielles Bauen nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen für neue Geschäftsmodelle: Vom Lizenzieren eigener Modul-Designs bis zur Kooperation mit Bauträgern bei Typenprojekten. Zugleich darf man die klassischen Aufgaben nicht vernachlässigen: Nachverdichtung, Sanierung und Umbau bestehender Bauten bleiben wichtig​ – auch hier liegt großes Potenzial, Wohnraum zu schaffen, ganz individuell je Ort. Die Zukunft der Architektur wird vermutlich eine Mischform sein: Teil-Standardisierung dort, wo sinnvoll, und Individualität dort, wo nötig. Architekturbüros tun gut daran, sich auf dieses Spektrum einzustellen – mit offenem Geist, technischem Know-how und standfesten gestalterischen Prinzipien. Dann wird das modulare Bauen vom vermeintlichen „Bremsklotz“ zur neuen Chance für hochwertige, zukunftsfähige Architektur.