Kaum ein Thema belastet aktuelle Bauprojekte so sehr wie die explodierenden Baukosten. Über die letzten zwei bis drei Jahre sind die Preise für Baumaterialien und Bauleistungen in bisher ungekanntem Ausmaß gestiegen. Für Architekturbüros ist das eine doppelte Herausforderung: Einerseits sprengen viele Projekte das Budget, was zu Planungsänderungen oder sogar Projektstopps führt. Andererseits geraten Architekten in gefährliches Fahrwasser, wenn Kostenprognosen nicht mehr zutreffen – im schlimmsten Fall haften sie für Überschreitungen. Die Kostenlawine droht, Architekturvorhaben zu überrollen.
Die harten Zahlen zeigen die Dramatik: 2022 stiegen die Preise nahezu aller Baumaterialien rasant. Energieintensive Produkte verteuerten sich besonders stark – so kostete Bewehrungsstahl im Jahresdurchschnitt 2022 rund 38 % mehr als 2021, Flachglas sogar 49 % mehr. Und das auf ein Jahr gerechnet, obwohl 2021 schon teuer war. Auch 2023 hielten die Baupreissteigerungen an, wenn auch mit nachlassender Dynamik. Im August 2023 lagen die Neubaupreise für Wohngebäude immer noch um +6,4 % über Vorjahr. Insgesamt haben sich Bauen und Sanieren seit der Pandemie etwa um ein Drittel verteuert. Dieser Kosten-Tsunami trifft laufende Projekte hart. Kostenvoranschläge werden binnen Monaten obsolet, Ausschreibungsergebnisse übersteigen die Kalkulation um 20, 30 % oder mehr.
Die Folgen sind im Arbeitsalltag spürbar: Viele Bauherren stoppen oder verschieben Projekte, weil die Finanzierung plötzlich nicht mehr aufgeht. Die Bundesarchitektenkammer berichtet, dass gestiegene Materialkosten inzwischen zu den meistgenannten Risikofaktoren von Büros gehören. Zusammen mit hohen Zinsen führen sie dazu, dass Bauherren Projekte auf Eis legen oder abspecken. Architekten sehen sich dann mit Planungsunterbrechungen konfrontiert – oder müssen aufwendige Kostenoptimierungen durchführen, um das Vorhaben noch zu retten. Mancher Neubau wird ganz abgeblasen, weil er sich zu aktuellen Preisen nicht rechnet.
Zudem wirkt der Kostenanstieg wie ein Filter: Nur noch Bauherrn mit hoher Kapitaldecke oder strategischem Interesse (z.B. öffentliche Hand, die bauen muss) realisieren Projekte; andere verzichten. Die Pipeline geplanter Bauvorhaben dünnt sich aus, was den Büros wiederum Aufträge entzieht. Gestiegene Baupreise sind somit ein zentraler Treiber der derzeitigen Auftragskrise in der Architektur. Besonders im Wohnungsbau zeigt sich das – die fehlenden Investitionen dort sind laut Umfragen derzeit eines der größten Probleme.
Für Architekturbüros bedeutet die Baukostenexplosion nicht nur weniger Projekte, sondern auch mehr Stress in laufenden Planungen. Ihr Berufsbild sieht vor, den Bauherrn in Kostenfragen zu beraten und wirtschaftlich zu planen. Doch wenn Preise innerhalb eines Jahres um zweistellige Prozentsätze steigen, wird Kostenplanung zum Glücksspiel. Architekten müssen inzwischen permanent ihre Kostenschätzungen aktualisieren und den Bauherrn warnen, sobald sich eine Überschreitung abzeichnet. Andernfalls drohen rechtliche Konsequenzen. Die Rechtsprechung ist streng: Hält ein Architekt ein vereinbartes Budget nicht ein, gilt seine Leistung als mangelhaft – unabhängig von Schuld. Kommt es wegen Kostenüberschreitung zum Projektabbruch, verliert der Architekt schlimmstenfalls seinen Honoraranspruch für bereits erbrachte Leistungen. Diese drastische Regelung bedeutet: Explodierende Preise können für Planer unmittelbar finanziell gefährlich werden.
Viele Büros versuchen daher mit Wertingenieurung gegenzusteuern – Materialien austauschen, Standards senken, Flächen reduzieren. Doch das hat Grenzen: Irgendwann leidet die Qualität oder die Planungsidee. Der Architekt gerät zwischen die Fronten, muss Kosten sparen, ohne das Projekt völlig zu entstellen. Der kreative Anspruch kollidiert mit dem Rotstift. Zudem kosten ständige Umplanungen Zeit und Geld, die selten vollständig vergütet werden.
Ein weiteres Problem: Bei vielen Verträgen gab es keine Preisanpassungsklauseln für extreme Fälle. Bauunternehmen fordern Nachträge wegen teurer Materialbeschaffung – Architekten müssen diese prüfen und mit verantworten. Oft stehen sie Bauherren erklärend zur Seite, warum etwa der Rohbau plötzlich X Euro mehr kostet als veranschlagt. Das Vertrauensverhältnis wird belastet, obwohl die Gründe extern sind (Lieferkettenprobleme, Ukraine-Krieg, Inflation). Die Rolle des Architekten wandelt sich zum Krisenmanager, der zwischen Bauherr und ausführenden Firmen vermittelt, um Lösungen zu finden.
Fazit: Die weiter steigenden Baupreise haben tiefgreifende Auswirkungen auf Architekturprojekte. Viele Vorhaben werden teurer, kleiner oder gar nicht erst gebaut. Architekturbüros sehen sich dadurch mit Einnahmeverlusten und erhöhtem Aufwand konfrontiert. Zudem wächst das Haftungsrisiko, wenn Budgets gerissen werden. In dieser Situation sind Transparenz und ständige Kostenkontrolle zum Überlebensinstrument geworden. Doch am Ende bleibt die Erkenntnis bitter: Die Baukostenexplosion entzieht der Architekturbranche einen Großteil ihrer Planungsgrundlagen – bezahlbare Projekte mit zufriedenen Bauherren.
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